
A choreographic concert with the percussionists of the Münchner Philharmoniker
In the choreographer Sabine Glenz’s new work, music, sound and movement meld into a living organ. Bonds are formed, choreographic processes organize themselves, collective images are created playfully and dissolve again; it is an order of the multifarious. As a reaction to „Three Constructions“ by John Cage and the planar “Interludes” by the composer Robert Merdzo, Glenz and her dancers create fine veins between acoustics and movement that come from nowhere, are seemingly infinite, disappear into nothingness and separate - to then create new axes and branching points.
August 7/8/9 Schwere Reiter Theater, München 2018
AZ München, KULTUR, 9.8.2018 von Michael Stadler
Wurzelwerk der Klänge Uraufführung bei der Tanzwerkstatt Europa: Sabine Glenz‘ choreografisches Konzert „Rhizom“
Alles beginnt irgendwie und irgendwann, ein Musikstück mit einem Klang, eine Choreographie mit einer Bewegung, aber dann verzweigen sich die Ideen, die Klänge, die Schritte und Drehungen, bis der Ursprung in Vergessenheit gerät oder zumindest gar nicht mehr so leicht auszumachen ist.
Im Schwere Reiter beginnt alles mit einem Murmeln auf der Soundspur und einer Frau, die mit Ästen in aller Ruhe ein Gebilde zusammenbaut, nach einem unsichtbaren, dennoch spürbaren Plan. Das Flüstern stammt wohl von John Cage. Worte wie „Zen-Buddhismus“ fallen, eine Philosophie, die Cages Musik stark beeinflusste. Die Dinge so sein zu lassen, wie sie sind, ihr Nebeneinander zu respektieren, zu feiern – was für eine Herausforderung! Für Cage war alles Musik, auch der Straßenlärm. In seinen zwischen 1939 und 1942 komponierten „Constructions“ schieben sich die Rhythmen ineinander, so dass aber kein beliebiges Durcheinander entsteht, sondern ein geordnetes Chaos der Klänge, das gleichermaßen verstört und mitreißt.
Die vier Tänzerinnen und zwei Tänzer, die im Schwere Reiter jeder für sich auf die Bühne kommen, während die Frau im Hintergrund weiterbaut, bewegen sich vereinzelt und geben doch Impuls von einem zum anderen weiter. Wenn dann noch die Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker auftreten und die erste „Construction“ spielen, mit einem irren Instrumentarium, von Trommeln und Becken über asiatische Gongs bis hin zum metallisch präparierten Klavier, entsteht ein monströs verwobener Teppich an Rhythmen und Klängen, von dem sich die Tanzenden zu diversen Bewegungen anregen lassen. Jeder pickt sich eine musikalische Linie heraus, doch unterschwellig sind alle über das Stück magisch verbunden.
Das titelgebende „Rhizom“, was so viel wie Wurzelwerk bedeutet und in der Postmoderne als Begriff für eine komplexe Welt heterogener, miteinander verbundener Strukturen verwendet wird, ist auch im Tanz spürbar, ohne dass es eindeutig zu Tage tritt. Feinsinnig hat Choreographin Sabine Glenz mit ihrem Team aus Musikern und Tänzern dieses Netz gewoben, zwischen Gruppengeflecht und Einzelblüten, zwischen ohrenbetäubendem Lärm und ebenso ohrenbetäubender Stille. In ihrem choreografischen Konzert, das im Rahmen der Tanzwerkstatt Europa uraufgeführt wurde, mit dem Veranstalter „Joint Adventures“ als Koproduzenten, wuchert die anti – hierarchische Idee, dass die Vielfalt gefeiert werden sollte, die gruppe und darin jeder Einzelne.
Zwischendurch bilden die Tänzerinnen und Tänzer eine Meute, die hinter den Perkussionisten vorbeizieht. Dann splitten sie sich wieder auf, um sich von den „Constructions“ oder eingestreuten, sphärischen „Interludes“ des Komponisten Robert Merdzo inspirieren zu lassen. Ab und zu treten die Tanzenden in Berührung, aber es ist Contact Improvisation mit angezogener Handbremse, punktuell und leicht. Energien werden vielmehr über den Boden, die Luft ausgetauscht und weitergesendet: Zwei Tänzerinnen spielen ein Spiel von steter Nachahmung und Weiterführung der Bewegung, was
unendlich gehen könnte, aber sie halten an. Am Ende steigern sich die präzisen Perkussionisten alleine auf der Bühne zum finalen Crescendo.
Das Holzgebilde, in das die Bauende auch Papierbahnen und einen Schwamm integriert hat, rotierte sich da bereits in der Luft aus – eine Konstruktion, wie die Musik und der Tanz. Der Rest ist, natürlich, Schweigen. Und eine Hitze im Raum, so dicht wie Cages Rhythmen. Auf der Soundspur jedoch war einmal Regen zu hören, dazu Wellengeräusche, endlos und die Nerven schön kühlend.
Musikalische Raumbewegungen in Sabine Glenz‘ „Rhizom“.
Foto: Volker Derlath